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190E - Die Modellgeschichte aus dem Tagebuch eines Liebhabers

Classic Company, 22.10.2022 Wissenswert

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190E - Die Modellgeschichte aus dem Tagebuch eines Liebhabers

Da war sie, diese kindliche Vorfreude. Endlich konnte ich den 190E 2,3-16 mein Eigen nennen. Dieser Wagen bedeutete so viel. Für mich persönlich war er ein langersehnter Traum, der in Erfüllung ging. Und für das Image von Mercedes läutete die Baureihe des Baby-Benz eine neue Ära ein. Schluss mit altbacken und bieder. Schluss mit Altherren-Klischee.
Mit dem Kauf meines damaligen Traumautos war ich mittendrin – ganze drei Jahre lang.

Vom Baby-Benz zur Sportskanone

Ich erinnere mich noch genau, wie Mercedes die 190er-Modellreihe schuf. Es war, als wäre eine neue Zeitrechnung für den Stuttgarter Automobilbauer angebrochen.

Mercedes war immer bekannt für seine komfortbetonten und oftmals biederen Modelle. Mit deren Kauf wurden gut betuchte, gesetzte Herren oder Firmenbesitzer in Verbindung gebracht. Die Zeit entwickelte sich, und mit ihr wandelte sich die Gesellschaft. Das führte auch zu einem Umdenken in der Automobilbranche. Dem Stuttgarter Automobilbauer lag viel daran, neue Käufer anzusprechen. Neue Modelle mussten her. Die leicht angestaubte Modellpalette sollte vom 190er nach unten abgerundet werden. Umgangssprachlich wurde der neue Mercedes auch als „Baby-Benz“ bezeichnet. Und aus dem gewöhnlichen Standardmodell des 190er entwickelte Mercedes mithilfe des 16V-Motors den sportlichen Ableger 190E 2,3-16.

 

Der 190er entwickelt sich am Markt

Mit der 190er-Modellreihe entwickelte Mercedes-Benz eine neue Fahrzeuggeneration unterhalb der Mittelklasse. Technische Merkmale waren die neue Raumlenker-Hinterachse und die strömungsgünstige Karosserie. Bei den neu entwickelten Dieselmotoren verwendete man aufwändige Motorkapselungen und machte ihn somit ein wenig salonfähiger.
Durch diese neugeschaffene Bandbreite dieses Modells, sprach Mercedes eine breite Käuferschicht an. Der W201 fand seine Käufer und entwickelte sich somit am Markt. Die Sportvariante 190E 2,3-16 und dessen Weiterentwicklungen trugen trotz ihrer verhältnismäßig geringen Stückzahl ihren Teil zum Erfolg des Baby-Benz bei.
Das Erstaunliche dabei: Die sportlichen 16V-Varianten wiesen die selben automobilen Gene auf, wie alle anderen, schwächer motorisierten Varianten. So hatte auch ein 190 D mit vergleichsweise geringer Motorleistung grundsätzlich die gleiche technische Basis. Also wiesen alle Modelle die Raumlenker-Hinterachse, eine Sicherheitsoptimierte Fahrgastzelle oder auch den Hub-Scheibenwischer auf.

Die Raumlenker-Hinterachse als Vertrauensbasis

Mir als Neuling in der damaligen 190er-Gemeinde war anfangs nicht so recht bewusst, mit welcher Art Mercedes ich es zu tun hatte. Das Fahrwerk und im Besonderen die neu konstruierte Raumlenker-Hinterachse waren Gründe für ein sofort einsetzendes Vertrauen in die Sicherheit dieses Fahrzeuges. Es entstand für mich auf Anhieb ein ausgeprägtes Sicherheitsgefühl.

In Fachkreisen wird die Raumlenker-Hinterachse auch als Mehrlenker-Hinterachse bezeichnet. Bei dieser Bauart einer Radaufhängung wird jedes der beiden Räder der Achse mit 5 Stablenkern geführt. Sie ist die aufwändigste Art der Einzelradaufhängung. Die Vorteile dieser Achsvariation liegen in einem besseren Komfort und gleichzeitig mehr Fahrdynamik.

Beides wurde mir im Laufe der 3 Jahren, die ich dieses Fahrzeug besaß, oftmals bewusst. Auch wenn der 2,3-16 vorherrschend als sportliche Limousine dargestellt wurde, beherrschte er die langsame, komfortbetonte Gangart auf holprigen Nebenstraßen trotzdem. Aber natürlich bereiteten die schnellen Autobahnetappen wesentlich mehr Spaß.

190E Mercedes Benz

 

16-ventiliger Sportsgeist, um das angestaubte Image zu verbessern

Im Dezember 1982 wurde die Baureihe mit der internen Werksbezeichnung W201 der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Herbst 1983 ergänzte Mercedes die Motorenpalette um das erwähnte Dieselmodell und das Sportmodell 190E 2,3-16. Der neu entwickelte 16-Ventil-Motor wurde in Kooperation mit dem britischen Motorenhersteller Cosworth entwickelt.

Ich erfuhr durch Zufall von der Präsentation des neuen, sportlichen Ablegers des W201. In einer Fachzeitschrift entdeckte ich damals den Bericht über Hochgeschwindigkeitstest dieses neuen Hoffnungsträgers. Der Zeitungsbericht machte mich neugierig.

 

Nardo-Rundkursweltrekord mit der modifizierten Neuheit

Um der Öffentlichkeit die neue Sportlichkeit gemeinsam mit der gewohnten Zuverlässigkeit der Marke präsentieren zu können, wählte Mercedes den Hochgeschwindigkeits-Rundkurs Nardo im Süden Italiens aus. Im Sommer 1983 führte man dort drei modifizierte 190E 2,3-16 in über 201 Stunden an zahlreiche Rekorde heran – aus heutiger Sicht ein Rennspektakel zu Marketingzwecken.

In dieser Zeit legte man eine Strecke von 50.000 km zurück und erreichte dadurch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 250 Kilometern in der Stunde. Und das trotz Tankstopps und Fahrerwechsel.

Die drei verwendeten Rekordexemplare des sportlichsten Baby-Benz waren bis auf einige wenige Details im Serienzustand. So wurden ein paar nicht benötigte Komponenten wie die Servounterstützung der Lenkung und der Kühlerlüfter des Motors entfernt. Ebenso wurden die Außenspiegel entfernt, um die Aerodynamik zu verbessern. Die Motorleistung blieb aber bei den serienmäßigen 185 PS.

Mir erscheinen noch heute die Fotos der Fahrzeuge vor meinen Augen. Drei Rauchsilber lackierte 190er im Sporttrimm und mit abgeklebten Scheinwerfern im Rennen gegen die Zeit. Ein Marketingrennen, das mir bis heute im Kopf geblieben ist.

 

Weiteres Marketingrennen am neu eröffneten Nürburgring

Um diese neugewonnene Sportlichkeit weiterzufeiern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, nutzte Mercedes ein aus heutiger Sicht weiteres einmaliges Event.

Im Jahr 1984 macht Mercedes bei dem Eröffnungsrennen des neuen Nürburgrings sein neues Modell publik. Am Steuer eines der Fahrzeuge ist der damals noch weitestgehend unbekannte, 24-jährige Ayrton Senna. Die spätere Formel1-Legende gewann das Rennen und trug somit nicht nur seiner eigenen Berühmtheit bei. Die Interviews des jungen Senna wurden damals im Fernsehen ausgestrahlt.

 

Ungeahnter Erfolg

Anfangs plante Mercedes nur 5000 Exemplare dieses Modellexoten zu bauen. Der Erfolg überraschte jedoch. Es entwickelte sich ein Modell, welches erst sowohl von den Käufern als auch von den Verkäufern in seiner Art verstanden und erfahren werden musste. Die sportlich ausgerichteten Modelle des 190er entwickelten nach und nach eine besondere Begeisterung bei der für gewöhnlich ergrauten Kundschaft.

In den Jahren von 1983 bis 1988 konnte Mercedes fast 20.000 Modelle des 190E 2,3-16 verkaufen. Sein Nachfolger 190E 2,5-16 war in den Jahren von 1987 bis 1993 mit nicht mal 6700 Exemplaren bei Weitem nicht so erfolgreich.

 

Die neue Generation: 190E 2,5-16

Auf dem Pariser Autosalon wurde im Jahr 1986 die neue Generation der 16-Ventiler vorgestellt. Hierbei wurde der Hubraum auf 2,5 Liter vergrößert. Dieser Motor wurde ebenso wie der hubraumkleinere Motor in Zusammenarbeit mit Cosworth entwickelt.

Anfangs tauchten Vorurteile auf, dass der neue Sportmotor nicht standfest sei. Inzwischen hat sich aber bewiesen, dass diese Motoren auch Laufleistungen von 300.000 km und mehr gewachsen sind.

Mit diesen 2,5er-Modellen stieg der Einfluss von Mercedes im Motorsport. Dieses startete im Jahr 1988 in der DTM. Um in dieser Rennserie jedoch starten zu dürfen, benötigte Mercedes dem Rennreglement nach eine verkaufte Stückzahl von 500 Straßenfahrzeugen.

 

Die Evolutionsmodelle I und II

In den Jahren 1989 und 1990 entstanden Evolutionsmodelle, bei dessen Motoren das Verhältnis Bohrung x Hub abgeändert wurde. Unter anderem geschah dieses durch den Einbau einer anderen Kurbelwelle. Man änderte dadurch den Hub von 87,2 mm auf 82,8 mm. Diese Maßnahme ergriff man, um die Kolbengeschwindigkeiten bei Höchstdrehzahl zu reduzieren. Hierdurch konnten die angepeilten Leistungssteigerungen für die Rennsportfahrzeuge besser umgesetzt werden und die Motoren hielten den harten
Renneinsätzen besser stand. Trotz dieser Umbaumaßnahme blieb die Leistung der Serienfahrzeuge bei 194 Kat-PS.

Auf dem Genfer Autosalon 1990 wurde dann das zweite Evolutionsmodell vorgestellt. Als Basis diente auch hier der bereits in Bohrung und Hub überarbeitete Motor des „Evo I“.

In dieser endgültigen Evolutionsstufe leistet der Motor in der Straßenversion 235 Kat-PS. Die Rennversion verfügte über eine Leistung von mehr als 370 PS.

Diese Spitzenmodelle des W201 verfügten somit über noch einmal deutlich mehr Leistung als mein selbst erfahrenes Sportmodell 2,3-16. Dessen Leistung mich bereits damals immer wieder aufs Neue überzeugte. Nächtlich, freudvolle Autobahntouren und Genießerrunden auf heimischen Landstraßen erwecken noch heute niemals verblassende Erinnerungen.

 

Optische Auffälligkeit unbedingt erwünscht

Um dem Betrachter seine Sportlichkeit unmissverständlich zu verdeutlichen, verpassten die Entwickler des Mercedes 190E 2,5-16 EVO ihrem Schützling auch das nötige Äußere:

Die Karosserie wurde um 45 mm tiefer gelegt und das Fahrwerk straffer abgestimmt. Dazu erhielten die Fahrzeuge einen tiefer und steiler herunter gezogenen Frontspoiler und die vergrößerten Radhausausschnitte mit entsprechenden Verbreiterungen.

Natürlich dienten diese Maßnahmen nicht nur dem Zweck, die Blicke auf sich zu ziehen. Die Aerodynamik war der maßgebliche Grund für die aufwändigen Maßnahmen. So verringerte der großzügig dimensionierte und zudem verstellbare Heckflügel den Abtrieb an der Hinterachse und sorgte zudem für den nötigen Anpressdruck bei hohen Geschwindigkeiten.

 

DTM Erfolge in den 1990er Jahren

Nicht nur DTM-Fans erinnern sich an die großen Rennerfolge zu Beginn der 1990er Jahre. Im Jahre 1992 gewann Mercedes mit dem 190E 2,5-16 EVO II von 24 Rennen allein 16. Am Steuer saßen Piloten wie Klaus Ludwig, Ellen Lohr, Roland Asch, Bernd Schneider und Keke Rosberg. In der damaligen Markenwertung ließ Mercedes seinen Kontrahenten BMW mit einem Abstand von 100 Punkten hinter sich.

 

Die neu entdeckte Sportlichkeit

Natürlich trugen die Rennerfolge ihren Teil zu dem Erfolg des ersten wirklich sportlichen Mercedes bei. Insgesamt betrachtet, machte es aber die gekonnt in Szene gesetzte Mischung aller Eigenschaften dieser Fahrzeuge aus. Ein Mercedes, mit Tugenden wie Solidität und Wertbeständigkeit versehen, wurde somit zum Erfolg geführt. Technisch anspruchsvoll und in dieser Disziplin vorreitend wie eigentlich alle Mercedes der Firmengeschichte.

Gerade die 16-Ventil Modelle des 190er ließen zu, dass die Stuttgarter Nobelmarke auch von der sportlichen Seite her betrachtet wurde und bis heute wird.

 

Erinnerungen bleiben – geprägt von perfekten Momenten mit einem besonderen Automobil

Mit Autos ist es manchmal wie mit Menschen. Den Besonderen begegnet man wahrscheinlich nur einmal im Leben. Im Falle des 190E 2,3-16 entwickelte sich für mich Anfangs der Eindruck von den Sportkarositzen fast schon zangenartig eingebettet worden zu sein. Oder dass ich durch den damals neuartigen Hub-Scheibenwischer den Regen anders wahrnahm.

Die Leistung dieses Fahrzeuges im Sportdress ließen mich oft voller Vorfreude auf die Dunkelheit warten. Aber genau derartige Augenblicke waren die perfekten Momente.

Momente, die dieses Auto zu dem erwähnten, Besonderen machten.

Mercedes-Benz 190er-Modellreihe

Dennoch können diese Zeilen nicht ansatzweise das wiedergeben, was ich damals durch den sportlich ausgerichteten Baby-Benz gefühlt und erlebt habe.

Für den Autohersteller Mercedes läutete dieses Modell eine Zeitenwende ein. Es setzte ein Zeichen, welches die Freunde anderer Marken aufsehen ließ. Sie richteten plötzlich den Blick auf dieses Modell.