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Der Golf GTI-Zündzeitpunkt eines Erfolgsmodells

Classic Company, 09.12.2022 Wissenswert

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Der Golf GTI-Zündzeitpunkt eines Erfolgsmodells

Immer wieder taucht er auch heute noch in meinen Gedanken auf. Seine rote Lackierung, die Doppelscheinwerfer und selbstverständlich die Pirelli-Felgen. Mein Lichtblick, mein automobiler Augenschmaus Mitte der 80er Jahre.

Ich war damals Schüler der 9. Klasse, die Frau eines Firmeninhabers wohnte in unserer Nachbarschaft und fuhr diesen 4-Räderigen Wirbelwind. Wir hatten denselben Nachhauseweg und sie nahm mich eine Zeit lang ein Stück mit. Ich konnte GTI fahren, wenn auch nur vom Beifahrersitz aus. Meist an einem Mittwoch, wenn ich 8 Schulstunden hatte. Diese Mitfahrten im GTI waren mein Highlight der Woche. Auf dem Beifahrersitz Platz genommen, nahm ich die automobile Welt irgendwie anders wahr. Klar, als Schüler hat man noch nicht die entscheidenden Sichtweisen. Aber man war schließlich irgendwie der Fahrer von Morgen. Vielleicht sogar der „GTI-Fahrer“ von Morgen.

Diese Fahrten weckten damals mein Interesse an diesem Wagen. Die so entstandene Neugierde führte dazu, dass ich mich mehr und mehr mit dem Golf auseinandersetzte. Niemand ahnte zu der Zeit auch nur ansatzweise, dass sich der Golf zu einem Trendsetter und Gründer einer später nach ihm benannten Fahrzeugklasse mauserte.

Folgen wir dieser erzählbaren Entwicklung Stück für Stück.

 

Die Vorgeschichte des Golf

Möchte man sich mit der Geschichte des VW Golf Auseinandersetzen, ist es eigentlich ein Muss auch seinen Vorgänger, den VW Käfer, zu betrachten. Dieser warf einen nahezu undurchdringbaren Schatten auf den Golf. Die Jahrzehnte, in denen der Käfer die entscheidende Geschichte für den Volkswagen-Konzern schrieb, waren von luftgekühlten und im Fahrzeugheck untergebrachten Boxermotoren geprägt. Das war seit dem Zweiten Weltkrieg so. Das völlig neu entwickelte Fahrzeugkonzept des VW Golf setzte den Startpunkt für eine völlig neue Ära in Wolfsburg. Eine Ära, die bis in die heutige Zeit Bestand haben sollte.

Die damalige Führungsriege von Volkswagen war fest davon überzeugt, dass das Konzept des VW Käfer auch weiterhin erfolgreich sein würde. Hauptsächlich Heinrich Nordhoff war es, der bis Ende der 1960er Jahre auf die Grundkonstruktion des VW Käfers setzte. Niemand wollte sich auf die modernere Bauart des Golf einlassen. Niemand wollte wahrhaben, dass luftgekühlte Boxermotoren nicht mehr zeitgemäß waren.

Mit Beginn der 1970er Jahre gingen die Verkaufszahlen des Käfers dann aber zurück.

Der Golf als Hoffnungsträger eines angestaubten Autokonzernes

Nachdem Automarken wie beispielsweise Fiat, Renault und auch Simca moderne Fahrzeugkonzepte mit wassergekühlten Frontmotoren in Serie bauten, ebnete Kurt Lotz als Nachfolger von VW Chef Nordhoff den Weg für ein derartiges Konzept für VW. Und das, obwohl die Vorbereitungen der Serienproduktion für einen von Porsche entwickelten Käfer-Nachfolger mit Mittelmotor bereits angelaufen waren. Ende 1971 stoppte Rudolf Leiding als neuer VW Chef dieses Mittelmotorkonzept wegen zu hoher Produktionskosten.

Der Golf GTI

 

Rudolf Leiding ebnete dem neuen Konzept den Weg

Rudolf Leiding war von 1971 bis 1975 Vorstandvorsitzender der Volkswagen AG. Er gehörte vorher der Auto Union in Ingolstadt an und ließ dort bereits den erfolgreichen Audi 100 entwickeln. Im Jahr 1968 verließ er Auto Union und wurde Vorstandsvorsitzender von Volkswagen do Brasil. Dort sorgte er innerhalb von 3 Jahren für eine Produktionssteigerung von 50 Prozent.

Durch diese Erfahrungen geprägt, wechselte er 1971 nach Wolfsburg und setzte die inzwischen erfolglosen Modelle mit luftgekühlten Boxermotoren ab. Als Folge dessen war er für den weiteren Ausbau der Modellpalette mit den nun wassergekühlten Frontmotoren verantwortlich. Der Weg für den Golf war geebnet.

 

Das Konzept, das gar nicht von VW stammt

Die technische Grundidee mit wassergekühltem Frontmotor und Frontantrieb wurde somit hauptsächlich durch die Entwickler von NSU und die im Jahr 1969 fusionierte Audi NSU Auto Union AG entworfen. Zunächst stach der wesentlich höhere Nutzwert in Form des Raum-Transport-Verhältnisses ins Auge. Bei einer geringeren Fahrzeuglänge bot der Golf mehr Platz als der Käfer mit dem veralteten Boxer-Konzept.

Das äußere Erscheinungsbild des Golf unterschied sich drastisch von dem des Käfers. Giorgio Giugiaro war der Designer, der diesem radikalen Wandel seine Form gab.

Ende März 1974 begann im VW Werk in Wolfsburg die Produktion des Golf. Zu Beginn standen zwei Motoren zur Wahl. Ein 1,1 Liter Motor mit 50 PS und ein 1,5 Liter Motor mit 70 PS verliehen dem Golf bedingt durch sein geringes Leergewicht von gerade einmal 800 kg bereits eine gewisse Sportlichkeit.

Die Motor-Getriebe-Einheit stammte in leicht abgewandelter Form aus Audi 50 und Audi 80.

 

Kurios: der erste Golf war gar kein Golf

Auch wenn alles seinen Blick auf den Golf warf, war es doch ein anderes Fahrzeug, welches im Schatten des Golf zuerst dessen Technik auf den Markt brachte: Der VW Scirocco wurde zur sportlich-mutigen Coupé Variante des Golf und machte den ersten Schritt auf den Kunden zu.

Aus heutiger Sicht ist es offensichtlich, dass VW diese Fahrzeuge nutzte, um die neue Technik durch den neugierigen Kunden testen zu lassen und seine mit Kinderkrankheiten versehene Neuentwicklung verkaufen zu können.

So erschien der VW Scirocco im März 1974 wenige Wochen vor dem VW Golf auf den deutschen Straßen. Im Mai 1974 begann der Verkauf des VW Golf.

Bis August 1983 entstanden rund 6 Millionen Exemplare. Zum Vergleich: Vom Scirocco wurden in den Jahren von 1974 bis 1981 gerade einmal 504.000 Stück produziert. Wobei der Scirocco ausschließlich bei der Firma Karmann in Osnabrück gebaut wurde.

 

Die Grundidee des GTI

Der eigentliche Erfinder des GTI war Diplom-Ingenieur Alfons Löwenberg, damals Mitarbeiter der Versuchsabteilung bei VW. Dieser schlug im März 1973 vor, einen Sport-Golf zu vermarkten - also bereits vor der Markteinführung des Golf. Dieser sollte ein um 10 cm tiefergelegtes Fahrwerk und einen armdickes Endrohr der Abgasanlage aufweisen. Dieses Projekt war dem Vorstand des Unternehmens allerdings zu stark ausgeprägt.

Ohne Wissen des Vorstandes entstanden dennoch durch einige Mitarbeiter des Marketings, der Entwicklungsabteilung und dem Beisein des Pressechefs Anton Konrad Versuchsfahrzeuge eines Golf mit der Antriebseinheit des Audi 80 GTE. Erst nachdem diese Fahrzeuge der Seriennähe entgegensteuerten, wurde der damalige Vertriebsvorstand Dr. Werner Schmidt darüber informiert. Dieser war von den Fahrzeugen und deren Fahreigenschaften derart begeistert, dass die weiteren Entwicklungsschritte sofort genehmigt wurden.

Der Golf GTI war geboren und für den Markt bereit

 

Golf GTI – ein Rebell seiner Zeit

Der erste Golf GTI wurde im September 1975 auf der IAA Frankfurt der Öffentlichkeit vorgestellt. Volkswagen verbaute den 1,6 Liter großen und 110 PS starken Motor aus dem Audi 80 GTE. Um dieser gestiegenen Leistung gerecht zu werden, optimierte man das Fahrwerk und die Bremsanlage des nur 810 kg leichten Kompaktwagens. So erhielt der GTI einen Bremskraftverstärker, an der Vorderachse innenbelüftete Scheibenbremsen und einen Stabilisator. An der Hinterachse wurde ein lastabhängiger Bremskraftregler verbaut. Der Motor erhielt einen zusätzlichen Ölkühler.

Das eigentlich außergewöhnlichste Motormerkmal war die als K-Jetronik bezeichnete und von Bosch entwickelte, mechanische Benzin-Einspritzanlage des Motors. Mit dieser Art der Gemischaufbereitung war es möglich, eine derartige Leistung aus diesem Motor zu fordern.
Der Golf GTI erreichte durch diese technisch wirksamen Umbauten Fahrleistungen, die bis dato entweder Sportwagen oder großen Limousinen vorenthalten waren. Er entwickelte sich zu einem Autobahnschreck für Besitzer manch stärkerer Limousinen.

So war der GTI ein Massenmodell, welches dennoch durch seine Einzigartigkeit zu überzeugen wusste.

 

Sportlichkeit auch im Innenraum

Um seinem Sportsgeist auch im Inneren gerecht zu werden, erhielt der GTI von seinen Machern dort ebenfalls entsprechende Details. So verbaute VW ein Sportlenkrad mit drei gelochten Speichen, Sportsitze mit haltgebenden Wangen und einem Schaltknauf, der einem Golfball nachempfunden war.

Legendär ist auch heute noch die unter Kennern weit verbreitete Bezeichnung für die damals verbauten Sportlenkräder. „Spucknapflenkräder“ – eine Bezeichnung, die einem Jahrzehnte später noch ein Schmunzeln auferlegt.

Entgegen der Meinung vieler Volkswagenverantwortlicher, entwickelte sich der GTI zu einem viel gefragten Modell.

 

Auch andere Autohersteller schufen Kompakte, vierräderige Raufbolde, die die Autobahn aufmischten

Kompaktwagen mit einem starken Motor und einem sportlichen Image wurden zu einer Art Mode. Der Begriff „Hot Hatches“ entstand. Der Golf GTI wurde Symbol für diese Art der Kompaktwagen. Hierbei bemerkten auch andere Hersteller, dass man gut damit beraten war, wenn man ein derartiges Fahrzeug in seinem Programm hatte. Darunter waren Opel mit dem Kadett GT/E oder auch Ford mit dem Escort XR3.

Golf GTI 171 G34

 

Auch als GTI ein klassenloses Auto

Trotz oder gerade aufgrund dieses sportlichen Topmodells, blieb der Golf ein klassenloses Auto. Egal ob Familienvater, Hausfrau oder Firmenchef. Der Golf wurde von allen Bevölkerungsschichten gekauft und gefahren. Eine Zeit lang bewarb VW den Golf GTI sogar mit den Worten „Auch zum Einkaufen in Schrittgeschwindigkeit ruckfrei zu fahren“. Womit die damaligen Marketingleute auch diesen Golf als problemlosen Wagen für Jedermann gegenüber den mutmaßlichen Käufern bewerben wollten.

Auch die Fabrikantengattin aus meiner Nachbarschaft war von den Qualitäten des GTI überzeugt. Und diesem glücklichen Zufall habe ich persönlich es letztlich zu verdanken, dass ich von diesem Wagen regelrecht infiziert wurde. Der GTI war es, der mich unvoreingenommen in seinen Bann zog.

 

GTI-Pirelli-Sondermodell ab Mai 1983

Gegen Ende der Produktion des Golf 1 legte VW das GTI-Sondermodell „Pirelli“ auf. Verbaut wurde beim GTI schon seit der davor liegenden Modelljahr-abhängigen Produktaufwertung der 1,8 Liter große 1,8 DX-Motor mit 112 PS und 5-Gang-Getriebe. So auch beim Pirelli-Sondermodell.

Die „Pirelli-Fahrzeuge“ waren jedoch nur in den Farben Rot, Grün, Weiß und Blau erhältlich. Ausgestattet mit grüner Colorverglasung, den sogenannten Pirelli-Felgen in 14 Zoll mit 185/60-14 großer Pirelli P6 - Bereifung, wurde dieser GTI zu etwas Besonderem. Auch oder gerade zu der heutigen Zeit sind derartige GTI seltene Sammlerobjekte.

Von den Pirelli GTI-Sondermodellen wurden insgesamt 10.500 Exemplare gebaut und verkauft.

 

Woran erkennt man ein wertvolles Pirelli-Sondermodell?

Natürlich weckt ein solches Sondermodell Begehrlichkeiten bei jedem, der einen GTI der ersten Golf-Generation sein Eigen nennen möchte. Dem Seltenheitsstatus des GTI setzt der Pirelli noch eins drauf. Dementsprechend entwickeln sich auch die Preise für ein Modell in gutem Zustand. Doch man muss aufpassen. Denn die Pirelli-Felgen machen nicht automatisch ein Pirelli-Sondermodell aus.

Um einen GTI der ersten Serie eindeutig als Pirelli-Sondermodell zu entlarven, muss man schon genau hinsehen und gut recherchieren.

Bei einem gewöhnlichen GTI findet man in der Fahrgestellnummer die Zahlenaufstellung „171 334“. Bei einem 4-türigen Pirelli ändern sich diese Zahlen in eine „171 G34“ und bei einem 3-türigen Pirelli findet man in der Fahrgestellnummer eine „171 G33“.

Ergänzt werden diese Pirelli-Merkmale durch ein „W64“ für unlackierte Kunststoffanbauteile oder einem „W65“ für lackierte Kunststoffanbauteile der Karosserie.

Aber die Kennzeichnungen „W64“ bzw. „W65“ allein sind KEIN Merkmal eines Pirelli-GTI.
Um sicherzugehen eines dieser begehrten Sondermodelle vor sich zu haben, empfiehlt es sich aber den originalen Fahrzeugbrief bei einem VW-Händler eindeutig entschlüsseln zu lassen.

Ein Pirelli-GTI hatte immer die sogenannte MFA - ausgesprochen Multifunktionsanzeige, oder besser als Bordcomputer, beschrieben - verbaut.

 

Zurück zum Golf: Das Oberhaupt einer ganzen Modellfamilie

Auf dem Golf aufbauend, entstanden weitere Modellvarianten. Den Anfang dazu machte im März 1979 die Cabriolet-Variante des Golf. Produziert wurde dieser Frischluft-Golf ausschließlich bei Karmann in Osnabrück, wo er übrigens auch entwickelt wurde. Diese offene Variante des Golf wurde über einen sehr langen Zeitraum von 14 Jahren gebaut, es entstanden über 388.500 Exemplare.

Im August 1979 entstand der Jetta als eine Stufenheckvariante des Golf. Während diese Fahrzeuge hier in Europa hinter ihren Verkaufserwartungen zurückblieben, wurde der Jetta in Nordamerika zu einem Erfolgsmodell.

Im Jahr 1982 stellte Volkswagen die wirtschaftliche Variante eines Sport-Golf der Öffentlichkeit vor. Der Golf GTD war mit den sportlichen Merkmalen des GTI versehen, hatte aber einen 1,6 Liter großen Dieselmotor mit Turboaufladung verbaut. Dieser leistete 70 PS und ermöglichte einen Kraftstoffverbrauch von unter 6 Litern auf 100km.

 

Die Generation Golf

Auf die Gesellschaft gesehen prägte der VW Golf eine ganze Generation: die Generation Golf. Diese Menschen, die zwischen 1965 und 1975 in Westdeutschland geboren wurden, sich politisch desinteressiert neutral verhielten und zumindest scheinbar egoistisch auftraten.
Dennoch haben sie beide etwas Charaktervolles, sowohl der Golf als auch die Generation, der ihnen zur Seite stand.

 

Weißt Du noch?

Manchmal war es so, als ob er mir zuzwinkerte. So empfand ich es, wenn er in der Garage des Nachbarn stand. Noch heute erinnere ich mich an die Fahrten mit ihm. Wenn er dieses fast schon mysteriös klingende Knacken in der Abkühlungsphase von sich gab. Der leichte Duft nach Benzin, der auch nach dem Abstellen des Motors anspringende Kühlerventilator. Ja, und selbstverständlich der aus heutiger Betrachtungsweise kernige Klang des Motors. Ein Klang, der heute aus der automobilen Masse heraussticht und das Zeug dazu hätte, mir unaufhörliche Gänsehaut zu verpassen. Wenn er nur mein Eigen wäre.
Dazu kam es leider niemals. Irgendwann zogen unsere Nachbarn mit dem GTI weg. Ich verlor den roten Kompaktrenner aus den Augen.

Diese Gedanken an dieses Auto sind manchmal wie sein Plan einer leisen Vergeltung an mich. Sie stehen wahrscheinlich für all die unerlebten Gelegenheiten einer gemeinsamen Zeit.