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Wie Volkswagen mit dem Karmann Ghia einen Blickfang schuf

Classic Company, 26.06.2022 Wissenswert

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Wie Volkswagen mit dem Karmann Ghia einen Blickfang schuf

In den 1950er Jahren bestand die überschaubare Modellpalette von Volkswagen ausschließlich aus Fahrzeugen, die von luftgekühltem Boxermotoren angetrieben wurden. Diese Motoren waren stets im Heck der Fahrzeuge untergebracht und übertrugen ihre Kraft an die Hinterräder. Der legendäre Käfer stand in dieser aufstrebenden Phase des Volkswagenwerkes über Allem.

Ein besonderes Modell sollte in diese Zeit hinein geboren werden.

So entstand im Jahr 1951 die erste Idee zu einem Sportcoupé auf Käferbasis.

Begeben wir uns auf die geschichtliche Reise in die Entstehungsphase eines eleganten Coupés, welches nicht nur Frauenherzen höher schlagen ließ.

Beginn der langjährigen Partnerschaft zwischen Karmann und Volkswagen

Die Zusammenarbeit zwischen Karmann und Volkswagen begann bereits im Jahr 1949. In diesem Jahr erhielt der in Osnabrück ansässige Karosseriebauer Wilhelm Karmann von dem Autohersteller Volkswagen den Auftrag über die Produktion einer viersitzigen, offenen Käfervariante. Das war der Grundstein für eine jahrzehntelange Zusammenarbeit.

Wie es dazu kam und welche Meilensteine in der Entwicklung wichtig waren, erfahren Sie in dieser Zeitreise des Karmann Ghia.

Die Anfänge der Firma Karmann

Wilhelm Karmann sen. legte am 1. August 1901 den Grundstein für das Unternehmen, indem er den Wagenbaubetrieb Christian Klages in Osnabrück übernahm. Der Betrieb mit 10 Mitarbeitern war hauptsächlich mit der Fertigung von Kutschen beschäftigt.

Bereits im Jahr 1902 – nur ein Jahr nach der Übernahme – fertigte Karmann die ersten Karosseriebauten für den Fahrzeughersteller Dürkopp in Bielefeld. Das Unternehmen machte in den folgenden Jahren eine beeindruckende Entwicklung durch.

Im Jahr 1913 meldete Wilhelm Karmann mit einer Mechanik für Klappverdecke sein erstes Patent an.

Karmann – Ein Pionier im Karosseriebau

Im Jahr 1924 reiste Wilhelm Karmann in die USA. Dort analysierte er die modernen Fertigungsmethoden der damals weltgrößten Karosseriefabrik Fisher Body Company. In Folge der gewonnenen Erkenntnisse gab Karmann in seinem eigenen Werk die bisherige Holzbauweise auf und stellte die Produktion zunächst auf Halbstahlbauweise um.

Karmann wurde bewusst, welchen Stellenwert die Entwicklung und Herstellung von Presswerkzeugen in der seriellen Fertigung von Automobilen hatte. Nicht zuletzt durch die prägende Zusammenarbeit mit den Adler-Werken Frankfurt wurde Karmann zu einem Pionier der Serienfertigung von Sonderfahrzeugen. So entwickelte er sich zu einem Spezialisten für den Bau von Cabriolets und Coupés.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden VW und Karmann zusammen

Bereits in den Jahren 1935/36 führten Wilhelm Karmann und Ferdinand Porsche erste Gespräche. Es ging darum, Ideen zum Bau eines Prototyps für ein Volkswagen-Cabriolet zu entwickeln. Doch der Zweite Weltkrieg und der Wiederaufbau des Karmann-Werkes legten die Pläne bis 1949 auf Eis.

Am 1. August 1949 unterschrieb Wilhelm Karmann einen Vertrag zur Fertigung von 1000 Volkswagen Cabriolets. Aus diesem anfangs kleinen Auftrag entwickelte sich in den darauffolgenden 50 Jahren eine Stückzahl von über 2,5 Millionen Modellen des VW Käfer Cabriolet.

Karman Ghia: Italienisches Design und Technik von VW treffen aufeinander

Italienisches Design und Technik von VW treffen aufeinander

Als Wilhelm Karmann sen. im Jahr 1952 verstarb, übernahm sein Sohn Wilhelm Karmann jun. die Unternehmensführung. Schon ein Jahr später begann die Entwicklung des Karmann Ghia in Zusammenarbeit mit dem Turiner Designstudio Ghia.

Der Maschinenbauer des Unternehmens, Luigi Segre, war zu dieser Zeit Ghias Kontaktmann zu Karmann in Deutschland. Er galt lange als der eigentliche Designer des Karmann Ghia. Aber in der Geschichte des Fahrzeugs tauchen mehrere Namen auf.

Den Prototypen des Karmann Ghia Typ 14 entwarfen Felice Mario Boano und dessen Sohn Gian Paolo, die ebenfalls bei Ghia tätig waren. Die Grundlage bildete ein zuvor von Ghia gebauter Prototyp für Chrysler in den USA. Dessen Entwurf wiederum stammt von dem damaligen Chrysler-Chefdesigner Virgil Exner.

Zeitlos italienisches Design mit bewährter Volkswagentechnik – Eine Zeitreise

Am 14. Juli 1955 wird der Karmann Ghia im Kasino-Hotel Georgsmarienhütte der Öffentlichkeit vorgestellt. Bereits kurz nach der Präsentation wird deutlich, dass die Meinungen über das Fahrzeug auseinander gehen. Auf der einen Seite beeindruckt das elegante Design, auf der anderen Seite verursacht die geringe Motorleistung ein gewisses Belächeln des Fahrzeuges.

So erhält der Karmann Ghia spöttische Beinamen wie etwa „Hausfrauen-Porsche“ oder „Sekretärinnen-Ferrari“. Als im Jahr 1955 die Produktion des Karmann Ghia Typ 14 beginnt, beträgt der Kaufpreis des Zweisitzers 7.500 Mark.

Das elegante Cabriolet des Karman Ghia

1957 wird das Jahr des Karmann Ghia Cabriolet. Auf der 38. Internationalen Automobilausstellung wird die Cabrio-Variante öffentlich vorgestellt. Ab dem 1. November 1957 wird das Fahrzeug produziert und kostete 8250 Mark – also 750 Mark mehr als das Coupé.

Karmann Ghia do Brasil

Im Jahr 1959 besucht Wilhelm Karmann das brasilianische VW-Werk auf Einladung des Werksleiters. Karmann möchte sich einen Überblick verschaffen, ob eine Produktion des Karmann Ghia auch in Brasilien möglich ist. Nach leichten Schwierigkeiten, dort eine geeignete Produktionsstätte zu finden, fällt die Entscheidung für eine ehemalige Möbelfabrik. Die Firmengründung findet im Mai 1960 statt, das erste Coupé wird im Dezember 1960 gefertigt. Im Juni 1962 verlässt der 100. Karmann Ghia das Werk in Brasilien.

Unterschiede zum deutschen Modell

Innen wie außen unterscheiden sich das deutsche und das brasilianische Ghia Modell in einigen wenigen Details. Geänderte Felgen und Radkappendesigns, andere Türgriffe und eigenständige vordere Blinkleuchten sind die markantesten Unterscheidungsmerkmale. Im Innenraum fällt ein Aschenbecher von annähernd doppeltem Format im Vergleich zum deutschen Ghia auf.

Im Jahr 1967 wird der 10.000. Karmann Ghia im brasilianischen Werk produziert. Ein Jahr später stellt Karmann do Brasil eine Cabrio-Variante des Ghia vor. Dieses Fahrzeug wird bis zur Einstellung der Produktion im Jahr 1972 jedoch nur 177 mal gebaut.

Eine dritte Ghia Variante ausschließlich für den brasilianischen Markt

Im Jahr 1969 entwickeln die Konstrukteure von Karmann do Brasil parallel zum Typ 14 eine zusätzliche Variante des Ghia. Die völlig neue Karosserievariante wird auf dem Autosalon Sao Paulo im Jahr 1970 präsentiert. Diese Weiterentwicklung des Typ 14 wird als Typ 145TC bezeichnet. Die Buchstaben „TC“ in der Modellbezeichnung stehen als Abkürzung für die Bezeichnung Touring Coupé.

Das Fahrzeug stellt ein modernes Fließheckcoupé mit einer großen Heckklappe dar und bietet ausreichend Platz für eine brasilianische Kleinfamilie. Weil dieses Fahrzeug so erfolgreich ist, führt es den Namen Ghia auch nach dem Einstellen der Produktion des Typ 14 im Jahr 1972 noch für 4 Jahre weiter.

Karmann Ghia Typ 34 – Der große Karmann

Parallel zum Typ 14 wird der Typ 34 in den Jahren 1961 bis 1969 produziert. Basiert der Typ 14 noch auf einem leicht modifizierten VW-Käfer-Fahrgestell, orientiert sich der Typ 34 an der Limousine VW 1500/1600. Volkswagen betont, dass der große Karmann nicht als echter Sportwagen, sondern vor allem als Zweitwagen für die Dame des Hauses gedacht sei. Die Baureihe ist also kein Nachfolger des Typ 14, sondern wird parallel für eine andere Zielgruppe gebaut.

Der viersitzige Karmann Ghia Typ 34

Anfang September 1961 beginnt die Produktion des Typ 34. Diese Modellreihe wird mit einem 1,5 Liter großen luftgekühlten 4-Zylinder-Boxermotor ausgestattet. Die Leistung von 45 PS verhilft dem Wagen zu einer Höchstgeschwindigkeit von 137 km/h.

Ab dem Modelljahr 1965 wird der Motor mit zwei Vergasern modifiziert und erhält dadurch eine Leistungssteigerung auf 54 PS.

Zwei Jahre später wird der Ghia Typ 34 mit einem moderneren Motor ausgestattet, der zwar dieselbe Leistung hat, aber mit Normalbenzin statt mit Superbenzin betankt werden kann. Dieser 1,6 Liter große Motor wird abgesehen von leichten Modifikationen bis zum Produktionsende im Jahr 1969 unverändert weiter im Typ 34 verbaut.

Angedachte Cabrio-Variante des Typ 34

Ursprünglich war angedacht, ebenso wie vom kleineren Typ 14 auch eine Cabrio-Variante des Typ 34 auf den Markt zu bringen. Es wird spekuliert, dass 12 Prototypen dieser Cabrios bei Karmann in Osnabrück gebaut wurden. Aufgrund der geringen Gesamtstückzahl des Typ 34 verwirft man die Umsetzung und Produktion dieser Karosserievariante allerdings. Da der Typ 34 mit einer Gesamtstückzahl von nur 42.505 Exemplaren kein wirtschaftlicher Erfolg wird, wird die Produktion des Modells im Jahr 1969 endgültig eingestellt.

Der Ghia wird zu einem Erfolgsmodell

Der Typ 14 hingegen entwickelt sich für Volkswagen zu einem Erfolgsmodell. In den Jahren 1955 bis 1974 baut Karmann mehr als 360.000 Fahrzeuge in der Coupé-Variante und mehr als 80.000 Cabriolets. Über 60% dieser Fahrzeuge werden in die USA verkauft.

Im Frühjahr 1974 kommt der Nachfolger auf den Markt: der VW Scirocco. In Deutschland endet Produktion des Karmann Ghia am 31. Juli 1974.

Zeitlose italienische Eleganz

Auch 67 Jahre nach der ersten Präsentation hat der Karmann Ghia nichts von seiner zeitlosen Eleganz und seiner italienischen Ausstrahlung verloren. Damals wie heute wissen die Besitzer, sich auf diese Fahrzeuge einzulassen. Auch wenn diese Automobile ihrem sportlichen Äußeren vorauseilen, stellen sie nicht nur optisch etwas Besonderes dar.

Der Charmeur aus der Wirtschaftswunderzeit

Lässt man die Geschichte des Karmann Ghia auf sich wirken, so wird einem klar, welch besonderes Fahrzeug damals geschaffen wurde.

Da steht er nun, dieser Pseudosportler der 60er Jahre. Ein Automobil aus einer längst vergangenen Epoche. Ein charmanter, wenn auch seltener Begleiter einer Generation, die sich in der Wirtschaftswunderzeit wieder aufrichtete und nach Neuem strebte.

Den Menschen war nach Veränderung, sie wollten den Staub der Kriegsjahre ablegen. Mit seinem Charme und seinem gekonnt in Szene gesetzten italienischen Design gelang das dem Karmann Ghia auf eine wunderbar leichte Art. Auch, wenn seine Leistung hinter den sportlichen Erwartungen zurückblieb, erweckte er Begehrlichkeiten. Und so wurde der Karmann Ghia zu einem Zeitzeugen der damaligen Zeit, nach dem man sich auch heute noch gerne umdreht.